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Flächentausch für den Artenschutz: „Bibersee“ bei Koldingen bleibt

Regionsumweltdezernentin Christine Karasch (v. l.), NLG-Geschäftsführer Christopher Toben, Landwirt Heinrich Schnehage, GLV-Verbandsvorsteher Eckehardt Baumgarte und Landwirt Friedrich Thiemann am „Bibersee“ bei Koldingen.

Region übernimmt überschwemmte Felder, Landwirte erhalten Ersatzflächen

Hannover/Pattensen. „Bibersee“ statt Ackerland – so sieht es nördlich von Koldingen zwischen Fuchsbach und Mühlengraben aus, seit der Nager mit den auffälligen Schneidezähnen das Gebiet als Heimat für sich entdeckt hat und dort seine Dämme baut. Das Problem: Auf den überschwemmten Äckern fällt die Ernte aus. Die Region Hannover hat die beiden betroffenen Landwirte dafür bisher finanziell entschädigt. Nun ist eine langfristige Lösung gefunden: Die Regionsverwaltung hat der Niedersächsischen Landgesellschaft mbH (NLG) eine gleichwertige Tauschfläche abgekauft. Am heutigen Tag des Bibers haben sich die Beteiligten am neu entstandenen Feuchtgebiet getroffen.

„Das Projekt beschäftigt uns schon länger“, sagt Regionsumweltdezernentin Christine Karasch. „Uns war schnell klar, dass wir den Bibersee für den Artenschutz sichern und weiterentwickeln wollen. Das geht am besten, wenn die Fläche uns gehört. Gleichzeitig haben die Besitzer ein berechtigtes Nutzungsinteresse. Wichtig war deshalb, dass alle Akteure miteinander gesprochen und gemeinsam eine kreative Lösung gefunden haben.“

Passendes Ersatzland hat die untere Naturschutzbehörde der Region in Gesprächen mit der NLG gefunden. „Das Flurstück ist knapp elf Hektar groß und befindet sich in der nahe gelegenen Gemarkung Gleidingen, östlich von Rethen“, berichtet NLG-Geschäftsführer Christopher Toben. „Damit ist die Fläche weniger als vier Kilometer Luftlinie entfernt von den bisherigen Äckern.“ Im Dezember 2021 haben Region und NLG den Kaufvertrag geschlossen. Der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) fördert das Projekt über das Programm „Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ zur Unterstützung des intensiven Naturschutzes.

Die Landwirte Heinrich Schnehage und Friedrich Thiemann freuen sich, dass sie das neue Ackerland ab dem Herbst bewirtschaften können. „Die Fläche bei Koldingen direkt an die Region zu verkaufen, war keine Option“, erklärt Schnehage. „Uns geht es nicht um finanzielle Entschädigung, sondern hauptsächlich darum, dass wir weiter unsere Arbeit machen können.“ Zwar läge das Ersatzland etwas weiter entfernt. „Aber dafür ist der Biber zurück in Pattensen. Das ist ein Kompromiss, mit dem wir gut leben können.“

Der Gewässer- und Landschaftspflegeverband Mittlere Leine (GLV) ist für den Gewässerablauf vor Ort zuständig und hat den Kontakt zwischen Region und NLG hergestellt. „Unsere Arbeit findet meist im Spannungsfeld zwischen Naturschutz und menschlicher Nutzung statt. Wir verstehen uns deshalb als Vermittler“, erläutert Verbandsvorsteher Eckehardt Baumgarte. „Wir haben uns von Anfang an für den Erhalt des Bibersees stark gemacht, weil die Auswirkungen auf die Artenvielfalt enorm sind. Rund um das Gewässer rasten und brüten inzwischen zahlreiche Vogelarten.“

Nun soll das Biotop weiter aufgewertet werden: Eine Wasserbüffelherde hält die Fläche künftig schonend offen. Dazu planen Region und GLV, gezielt Bereiche abzugraben, sodass weitere kleine Flachgewässer entstehen. Langfristig entsteht so ein idealer Lebensraum für zahlreiche Insekten-, Vogel- und Amphibienarten – und auch der Biber fühlt sich hoffentlich weiterhin wohl.

Hintergrund
Der Biber ist Europas größtes Nagetier: Ein erwachsenes Tier kann eine Körpergröße von bis zu einem Meter erreichen. Dazu kommt die Kelle mit rund 35 Zentimetern. Sein Gewicht kann über 30 Kilogramm liegen – damit ist der Biber in etwa so schwer wie ein Reh. In freier Wildbahn kann der „Castor fiber“, so der lateinische Name, ein Alter von acht bis zehn Jahren erreichen. Auf seinem Speiseplan stehen über 300 verschiedene Pflanzen. Wie kein anderes Tier gestaltet der Biber die Landschaft nach seinen Ansprüchen: Er fällt Bäume, baut Burgen und Dämme und staut Bäche auf.

Jahrhunderte lang war der Biber in ganz Europa verbreitet. Im 19. Jahrhundert wurde er durch Bejagung und Lebensraumverlust aber fast gänzlich ausgerottet. In Niedersachsen galt der Biber seit etwa 1856 als ausgestorben. Anfang des 21. Jahrhunderts, nach fast 150 Jahren, begann „Meister Bockert“ eigenständig, sich seine ursprünglichen Verbreitungsgebiete zurückzuerobern. Besonders rasant erfolgte die Rückkehr des Nagers in der Region Hannover: 2007 waren acht Tiere in Laatzen und bei Neustadt bekannt. Heute gibt es in der Region etwa 50 bekannte Reviere, in denen rund 170 Biber leben.